Globale Realzinsen: 4 Fakten über die Historie, Einflussfaktoren und die weitere Entwicklung
Fakt 1: Realzinsen haben in den USA historische Tiefststände erreicht
Letzte Woche haben die 10-jährigen Realzinsen (gemessen als Differenz zwischen dem nominellen Zins und der erwarteten Inflation) in den USA den tiefsten Wert der vergangenen Jahre erreicht. Ähnlich tief waren diese zuletzt im Jahr 2012, bevor die Ankündigung des damaligen Fed-Präsidenten Bernanke, Käufe von Staatsanleihen zu drosseln ("tapering") und das darauffolgende "taper tantrum" die Zinsen im Frühling 2013 emporschnellen liess. Der jüngste Trend sinkender Realzinsen wurde in den USA mit dem FOMC vom Januar 2019 eingeläutet, als Fed-Präsident Powell davon sprach, keine weiteren Zinserhöhungen vorzunehmen. In Deutschland sind die Realzinsen seit der Einführung von QE durch die EZB im 2015 negativ und haben sich nie mehr erholt.
Fakt 2: Die Realzinsen befinden sich nicht in einem zyklischen Tief
Im 2020 Paper "Eight centuries of global real interest rates, R-G, and the ‘suprasecular’ decline, 1311–2018" zeigt Paul Schmelzing anhand eines extensiven historischen Datensatzes, dass die Realzinsen in den vergangenen 700 Jahren fortlaufend gesunken sind. Sinkende Realzinsen konnten also schon weit vor der Einführung moderner Zentralbanken beobachtet werden. Dieser Trend ist folglich unabhängig vom vorherrschenden monetären Regime. Gemäss Schmelzing sind die momentan beobachtbaren Realzinsen also nicht "aussergewöhnlich" oder Teil einer "säkularen Stagnation", sondern vielmehr die Fortsetzung eines bereits (sehr) lange vorherrschenden Trends. Folglich werden historisch motivierte Zinsprognosen, welche besagen, dass die Zinsen steigen "müssen" (Rückkehr zu einem 20- oder 30-Jahre Durchschnitt), durch diese langfristige Anschauung entkräftet. Caveat: (Offensichtliche) Limitationen des Datensatzes können nicht bestritten werden; zudem bleibt das Paper Antworten schuldig, welche Faktoren zu diesem Trend führ(t)en.
Fakt 3: Es gibt zwei Haupttreiber, welche die Entwicklung der Realzinsen treiben
Haupttreiber 1: Wachstum. Wirtschaftswachstum und Kapitalrenditen stehen in einem direkten Zusammenhang: Je höher das Wachstum, desto höher die Entschädigung auf der Bereitstellung von Kapital, i.e. die Realzinsen. Wachstumsraten hängen u.a. von den Faktoren Bevölkerungswachstum und Technologie ab, d.h. wieviel Leute arbeiten und wie produktiv arbeiten sie.
Haupttreiber 2: Spar- und Investitionspräferenzen. Die Verteilung der Ersparnisse innerhalb der Bevölkerung hat einen Einfluss, wie viel Kapital zur Verfügung steht oder für Investitionen nachgefragt wird. Die diesen Präferenzen zugrundeliegenden Faktoren sind zum Beispiel die Demographie. Je höher der Anteil der Bevölkerung im erwerbsfähigen Alter ist, desto mehr wird gespart, was sich wiederum negativ auf die Zinsen auswirkt (Graphik links). Eine ähnliche Wirkung hat die Ungleichverteilung von Einkommen. Je höher die Ungleichheit, desto mehr wird gespart (Graphik rechts).
Fakt 4: Die globalen Realzinsen werden tief bleiben
Rachel and Smith (2015) zeigen, dass das Sinken der globalen Realzinsen zwischen 1980-2015 im Umfang von 4.5% mit den zwei erläuterten Haupttreibern Wachstum und Spar- und Investitionspräferenzen zu einem grossen Teil erklärt werden kann. Gemäss den Autoren ist der Rückgang des globalen Wachstums gerade mal für 1% der Abnahme der Realzinsen im beobachteten Zeitraum verantwortlich. Folglich dominieren die Präferenzen das Bild.
Für die Jahre 2015-2020 haben sie ein Verharren der Realzinsen auf tiefem Niveau prognostiziert. Für die Jahre 2020-2030 sehen die Autoren, dass die Demographie sich positiv auf die Realzinsen auswirken dürfte. Dies ist vor allem auf den Austritt der Babyboomer aus dem Arbeitsmarkt und dem damit verbundenen Rückgang der Sparquoten zu erklären. Die anderen säkularen Trends der vergangenen 30 Jahren dürften kaum zu einer Trendwende in den Realzinsen führen.
Die Corona-Pandemie hat drei Faktoren hervorgebracht: Höhere Sparraten aufgrund eingeschränkter Mobilität (sinkende Zinsen), ausgabefreudige Regierungen mit expansiven Fiskalprogrammen (steigende Zinsen) und äusserst expansive Zentralbanken (sinkende Zinsen).
Zusammenfassend gibt es derzeit kaum Gründe, von steigenden Realzinsen auszugehen.
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